1030 Kolonitzplatz 1
1866-1873
Bereits im Mittelalter entstand an einem Arm der Donau eine kleine Siedlung. Da deren Bewohner vor allem als Ledergerber tätig waren, entwickelte sich der Ortsname „Weißgärber“ (alte Schreibweise). Nachdem die kleine Kapelle des Ortes bei der Zweiten Türkenbelagerung zerstört worden war, wurde 1690 ein Neubau, die Margarethenkirche, errichtet.
1850 wurde der Ort als Teil des 3. Bezirks, Landstraße, in Wien eingemeindet. In der Folge erlebte das Weißgerberviertel einen großen wirtschaftlichen Aufschwung und die wachsende Bevölkerungszahl erforderte einen Kirchenneubau, mit dessen Planung 1862 der Dombaumeister Friedrich Schmidt beauftragt wurde.
Friedrich Schmidt hatte bei der Vollendung des Kölner Domes (1842) umfassende Kenntnisse über die gotische Bauweise erworben und mit dem Entwurf neogotischer Backsteinkirchen den Wiener Kirchenbau des Späthistorismus entscheidend geprägt.
Seine Entwurfstätigkeit ist durch einen ständigen Austausch mit seinem Mentor und Freund August Reichensperger gekennzeichnet. Reichensberger war Jurist, setzte sich jedoch intensiv mit der Frage des „richtigen“ Kirchenbaus auseinander und mit der Erstellung umfassende Richtlinien für den Bau von Pfarrkirchen galt er in Wien als wichtige Instanz in der Kirchenbaufrage. Als Bewunderer der gotischen Kathedralen befürwortete er die Bauweise im „rein deutsch-gothischem Stile“, lehnte jedoch strikt den Einsatz von „Kathedralmotiven“, wie Doppelturmfassaden und Chorumgänge, für Pfarrkirchen als unangemessen ab.
Die Stadterweiterungen 1850 und 1892 sowie der rasante Bevölkerungsanstieg erforderten allerdings weitgehende neue, städtebauliche, aber auch ästhetische Überlegungen. Zum einen sollten die Kirchen in den neu entstanden Bezirke markante Akzente setzen, zum anderen den vielen, auch aus den Nachbarländern zugezogenen Menschen als „erhebende“ Identifikationsorte dienen. „Monumentalität“ und „Erhabenheit“ waren demnach zu wichtigen Gestaltungskriterien geworden, die es architektonisch zu visualisieren galt und die nicht allein durch die Vergrößerung einer einfachen Pfarrkirche erzielt werden konnten.
Um den Kirchenbauten die angestrebte Wirkung zu verleihen, entschloss sich Schmidt, nun doch die gestalterischen Mittel einer Zweiturmfassade sowie eines Chorumganges aufzugreifen. In regen Debatten mit Reichensperger begründete Schmidt diese Maßnahme – sich gleichsam entschuldigend - als zeitgemäße Notwendigkeit. Indem er jedoch zumeist Kirchen mit nur einem Turm plante, scheint er dann doch – zumindest vordergründig - Reichensbergers Regel zu berücksichtigen, wenngleich anzunehmen ist, dass diese Einschränkung nicht zuletzt aus Kostengründen erfolgte. Auch bei den Chorumgängen war Schmidt zu Zugeständnissen bereit. Chorumgänge dienten im Mittelalter als Prozessionswege des Klerus, die im Rahmen der liturgischen Feier beschritten wurden. Da aber bei einer Pfarrkirche diese Zelebration nicht vorgesehen war, hat Schmidt die Chorumgänge nicht zum Innenraum geöffnet und nur am Außenbau zur Wirkung gebracht.
Friedrich Schmidt entwarf die Weißgerber Kirche als traditionellen basilikalen Backsteinbau mit einem Querhaus und einem polygonalen Chor in Mittelschiffbreite. Er verzichtete auf eine Zweiturmfassade und plante stattdessen einen imposanten 80 Meter hohen sechseckigen Turm, der im Erdgeschoss als Vorhalle mit drei übergiebelten Trichterportalen zum Haupteingang der Kirche überleitet. Der Helm ist unten aus einer 45 cm dicken, oben aus einer 30 cm dicken Ziegelmauer in Form eines Zwölfecks gebaut. Im Abstand von einem Meter ist jeweils eine 30 cm dicke Steinschicht eingeschoben.
Der Chorumgang ist als Kapellenkranz angelegt, der die Chorseite malerisch gliedert, der aber im Inneren pragmatisch zur Sakristei umfunktioniert ist. Vielfältige gotische Stilmerkmale, wie Krabben, Fialen und Maßwerkfenster, sowie die vielfache Gliederung des Baukörpers selbst, verleihen dem Kirchenbau insgesamt die gotische Signifikanz, wie sie damals erwartet und geschätzt wurde.
Die Architektur des Kircheninneren zeigt gleichsam stilreine Gotik. Die Wände und Säulen waren ursprünglich durchgehend farbig bemalt. Die Säulenkapitelle trugen vergoldetes Blätterwerk auf blauem Grund. Die dunkelblau gehaltene Decke war mit goldenen Sternen bemalt. Nach einem Bombentreffer im Zweiten Weltkrieg wurde die Bemalung jedoch nicht wieder hergestellt.
Trotz der hohen Baukosten, die zum Großteil von der Gemeinde Wien getragen wurden, erfuhr die Kirche breite Anerkennung, wie etwa in der Tageszeitung „Die Presse“ (24.8.1873) zu lesen ist: „Wir haben in dieser Kirche einen Musterbau der reinsten und strengsten Gothik vor uns […] doch zugleich ein Werk geistvoller und origineller künstlerischer Erfindung, ausgezeichnet durch überraschende Vielgestaltigkeit und ganz eigenartiger Durchbildung.“